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Sonntag, 16. September 2007
Vom Engel, der Ausging das Sterben zu lernen
Von einengelfuerjustin, 12:32

 

Vom Engel, der Ausging das Sterben zu lernen

Eines Tages, als die Engel im Himmel ganz gediegen auf ihren Wolkenwiesen wandelten und miteinander über Belangloses plauderten, sah ein besonders abenteuerlustiger Engel über eine Wolkenkante in die Welt hinunter. Was für ein buntes treiben ist das doch da unten, dachte er. Die Welt sieht so anders aus, so spannend, so abenteuerlich. So ganz anders als der Himmel hier.

"Mensch sollte man sein," dachte der Engel, "das wäre aufregend. Da passiert noch was." Uns so stellte er einen Antrag auf Menschwerdung. In einer langen Unterhaltung mit Gott selbst, erklärte unser Freund, dass er das Engelsein etwas langweilig fand und er unter den Menschen besser aufgehoben wäre. Gott, der bereits selbst Erfahrung in diesem Bereich gesammelt hatte, schlug dem Engel vor, doch erst einmal seinen Jahresurlaub auf Erden zu verbringen. Das könnte gar nicht schaden. Der Engel erklärte sich einverstanden.

 

Und unser Engel lebte so richtig. Er ging auf Partys und zu Konzerten, ins Theater und sah fern. Er unternahm Abenteuerreisen zu fernen Ländern, flog im Heißluftballon um die Welt und lernte das Segeln. Er genoss das Leben, er genoss die Menschen um sich herum. Ihr Lachen, ihre Abenteuerlust, ihren Wagemut. Er bewunderte sie, denn sie waren so anders. Farbiger, Bunter, Lebendiger.  Doch immer wieder bekam er am Rande etwas mit, das er nicht ganz verstand. Hin und wieder sprach man mit bedeckter Stimme über "die letzte Reise".

Eine letzte Reise, das hörte sich spannend an für unseren Engel. Das versprach Abenteuer. Da ging er in den Himmel zurück, und stellte einen Antrag die letzte Reise antreten zu dürfen.

"Sterben willst du?" fragte Gott ihn mit Verwunderung, "sterben?"     

"Es hört sich an wie ein großartiges Abenteuer," sagte der Engel. "Ja, ich will das Sterben lernen. Es ist eine großartige, letzte Reise, eine Reise in ein neues unbekanntes Land."  Und so stellte der Engel erneut einen Antrag auf Menschwerdung, den Gott ihm dieses Mal nicht ganz ohne schmunzeln gewährte. Da gab es plötzlich einen Ruck und er wachte auf, genau da, wo er zur Erde gefallen war. Alles tat weh, alles schmerzte, ihm war schwindlig und er fühlte sich gar nicht gut. Das hatte er noch nie erlebt: Schmerzen.

Er ging los, sein Abenteuer zu suchen. Da traf er auf eine alte Frau, die ganz alleine auf einer Parkbank am Rande eines Friedhofes saß. Weil er neugierig war, setzte er sich zu ihr und beobachtete sie eine Weile. Irgendetwas Nasses schien aus ihren Augen zu laufen und er blickte sie fragend an. "Ich bin traurig", sagte die Frau. "Traurig, was ist das?" fragte er Engel, "ist das wie gelangweilt sein? Das kenne ich gut." Er eine Träne von ihr. "ist salzig traurig?" "Nein, salzig ist nicht traurig", sagte die alte Dame und lachte fast, "aber ein bisschen wie das Meer ist es schon. Wie das Meer in einem Sturm. Es geht hoch und runter und drüber und drunter und man denkt man ertrinkt an seinen eigenen Tränen. Es gibt kein Land in Sicht und kein Licht und außen ist alles bedrohlich und innen ist alles still und endlos und keiner ist da."

"Das hört sich gar nicht gut an! Warum macht ihr den das Traurig sein?" fragte der Engel. Die Frau blickte ihn verwundert an. "Du bist nicht von hier," sagte sie. Darauf hin schüttelte der Engel den Kopf.

"Wir verlieren uns einander, irgendwann mal im Leben geht einer und lässt den anderen zurück. Alleine. Ich bin traurig, weil mein Mann gestorben ist," sagte die Frau leise.

Da war es wieder das Wort :gestorben. Er wurde ganz aufgeregt. Vielleicht konnte er jetzt mit jemanden reden, der gestorben war. "Wo ist er jetzt?" fragte der Engel. "Kann er mir das sterben lernen?"  Da schüttelte die Frau den Kopf. "Du bist seltsam," sagte sie. "Was machst du hier?" fragte sie verdutzt. Stolz sagte er:" Ich bin hier, das Sterben zu lernen."

"Ach Bübchen, das Sterben. Lerne erst zu leben." "Ich habe gelebt", protestierte der Engel. "Ich bin gereist. Ich habe gefeiert. Ich habe die Menschen beobachtet. Ich habe sogar ferngesehen."  "Hast du geliebt?" fragte sie, "hast du wirklich geliebt?"

"Geliebt? Was hat das denn mit Leben zu tun?"  "Wer liebt, der will nichts vom Sterben wissen." Das verstand er nicht, unser Engel. Ganz und gar nicht. Aber nun war er Mensch geworden und wollte sich auf all die Abenteuer einlassen, die das Leben so bereit hielt. Auch das Lieben, obwohl das etwas seltsam und auch schmerzhaft erschien. Auf seinen Reisen traf er Menschen mit denen er seine Abenteuer teilte. Und zu dem einen und anderen Menschen entwickelte sich eine Freundschaft. Und zu einem Menschen entwickelte er eine ganz besondere Freundschaft. Fortan reiste er mit diesem Menschen lieber als mit anderen und bemerkte, dass er ihn ganz schrecklich vermisste, wenn er ihn für eine Weile nicht sah. Er fing an, fortwährend an ihn zu denken und freute sich darüber, dass es ihn gab. Er sah ihn gerne lachen und glücklich sein. Er verbrachte seine Zeit gerne in der Gegenwart und lernte, sich an seinem Freund zu freuen. Bald wollte er nicht mehr ohne ihn sein und hin und wieder erwischte er sich dabei, wie er Angst bekam. Angst, dass dieser Mensch plötzlich irgendwie verschwinden könnte. Angst, dass er ihn verlassen würde. Angst, dass plötzlich alles zu Ende sein könnte. Angst, dass er sterben würde. Das war wohl der Preis fürs Lieben, dachte er sich: Diese Angst. Und eines Tages passierte es. Dieser eine ganz besondere Freund starb. Plötzlich, ohne Vorwarnung, ohne Ankündigung. Da fiel unser Engel in ein seltsames, inhaltloses Loch. Es war, als ob all die Farbe aus seiner Welt verschwunden war, alles lachen, alles heitere, alles schöne, alles unendliche. Alles tat weh. Alles war bedeutungslos. Deswegen war er nicht Mensch geworden, dachte er wütend. Deswegen nicht!! Er kam um zu sterben, das große Abenteuer zu erleben, nicht diesen endlosen schmerz. Er lebte diesen Tod. Er litt und kämpfte. Und nun wusste er wovon die alte Frau sprach. Wer liebt, der will nichts vom Sterben wissen. Und so wurde unser Engel ein wenig mehr erwachsen und lernte, dass alles im Leben seinen Preis hatte, alles seine Schattenseite, jedes Glück sein Ende, jeder Tag seinen Abend und in jeder Freude schlummert auch schon der Samen eines Kummers. Da war er traurig. Unendlich traurig.

 

Irgendwann, irgendwo, irgendwie kam wieder etwas Farbe in seine Welt. Erst ganz langsam und zaghaft und nur hin und wieder und dann immer mehr. Bis alles farbiger, ja intensiver als zuvor erschien. Aber auch zerbrechlicher, zarter und kostbarer. Diese Wand zwischen Leben und Tod war dünner geworden, war hauchdünn geworden. Brüchig, allgegenwärtig. Da wehrte sich etwas in ihm und er sagte sich: Wer liebt, der muss auch vom sterben wissen. Zu lieben, schloss er, heißt, dem Tod mutig und unerschrocken ins Auge zu blicken. Nur wer vom Tod weiß, kann wirklich lieben, kann mutig sagen: TROTZDEM!

Er hatte gelernt zu leben, mit dieser brüchigen Wand zwischen Leben und Tod, mit dieser Unsicherheit, dieser Verletzbarkeit.

Und er lebte. Jetzt wahrlich. Er lebte und liebte, freute sich und litt. Umarmte und lies los. Bis es Zeit war für ihn, sich auf sein eigenes großes Abenteuer einzulassen: seine letzte Reise zu seinem eigenen Tod. Und jetzt war er tatsächlich bereit. Er hatte gelernt zu lieben, zu leiden, loszulassen und so: zu sterben. Er schloss die Augen und mit einer salzigen Träne, die über sein Gesicht lief, sagte er" Ja".  Ja, zu dem was immer da kam. Und als er sie wieder auftat, war er überrascht. Er war da, wo sein Abenteuer angefangen hatte. Umgeben von Engeln, die für seine Ankunft ein Fest veranstalteten. Sehr bald schon fühlte er sich wie ganz zu Hause im Himmel. Doch der Himmel war seltsam anders geworden. War nicht mehr nur vorraussehbar sonnig, sondern bunt und farbig, lebhaft und üppig. Etwas hatte sich geändert. Er hatte sich geändert. Da merkte er etwas: die letzte Reise ist nur eine Reise nach Hause.

Nach ein paar Tagen fragte Gott ihn, was er denn gelernt hätte, auf seiner Reise auf Erden, welche Abenteuer er bestanden hätte, welche Gefahren besiegt und welche Rätsel gelöst.

Viel hatte er ja nicht verstanden, was das Leben auf Erden betrifft, sagte der Engel fast demütig. Mal war es so, mal so, oft war es durcheinander, manchmal glücklich und immer wieder traurig und dann wieder ganz anders. Verstanden hatte er das Leben nicht. Ganz und gar nicht. Aber eines hatte er gelernt: Die Menschen können reicher sein als die Engel, wenn sie den Mut haben, trotz Tod zu lieben. Trauer ist der Preis den die Menschen zahlen um Liebe zu empfinden. Da kullerte eine Träne aus den Augen Gottes und er küsste inseren Engel auf die Stirn.

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